Theodore von Kármán

Der Name Kármán bzw. von Kármán ist vermutlich den meisten Studierenden und Angehörigen der RWTH Aachen ein Begriff. Nach ihm sind unter anderem ein Hörsaalkomplex 1, ein Wohnheim2, Straßen3, und ein Mond- sowie Marskrater4 benannt. Aber wer war von Kármán überhaupt, wie erlangte er internationale Bekanntheit und in welcher Beziehung steht er zur RWTH?

Biographische Eckdaten und universitäre Anfänge

Theodore von Kármán wurde 1881 in Budapest geboren und wuchs dort auf. Um die Jahrhundertwende studierte er Maschinenbau an der Universität für Polytechnik und Ökonomie in Budapest. Im Anschluss daran war er als Assistent an der Uni und als Ingenieur bei Ganz & Co, einer Firma für Elektromotoren und Generatoren, tätig.5

Im Jahr 1906 war es ihm dank eines Stipendiums möglich, an die Universität Göttingen zu Ludwig Prandtl (Professor an der Universität Göttingen) zu wechseln. Dort promovierte er mit seiner Arbeit über Knickfestigkeit6. Zwei Jahre später absolvierte er seine Habilitation im Bereich der Mechanik und Wärmelehre. 1911 veröffentlichte er seine bekannteste Arbeit über die nach ihm benannte Kármánsche Wirbelstraße. Im Jahre 1913 folgte er dann einem Ruf an die TH Aachen, um dort das Institut für Mechanik und flugtechnische Aerodynamik zu leiten. Außerdem übernahm er auch die Leitung des neu entstandenen Aerodynamischen Instituts.7

Während des Ersten Weltkrieges

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde von Kármán in die österreichisch-ungarische Armee eingezogen. Ihm wurde die Leitung eines Forschungslabors nahe Budapest übertragen. Hier war er unter anderem auch an der Konstruktion von sogenannten Fesselhubschraubern beteiligt, die zur Feindbeobachtung eingesetzt werden sollten. Bei Testflügen gelang dies, allerdings nicht bei der Vorführung. Durch die Zeit in der österreichisch-ungarischen Armee kam von Kármán zum ersten Mal in Kontakt mit militärischer Forschung und Förderung.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges kehrte von Kármán in 1919 nach Aachen zurück und widmete sich dort weiter seiner Forschung. In den folgenden Jahren entstanden Arbeiten über Festigkeit, Strömungsmechanik, Luftfahrttechnik und über den Segelflug. Dieser war zumindest nicht ausdrücklich vom Versailler Vertrag verboten.

Durch den Krieg gab es kaum Kontakt zu ausländischen Wissenschaftlern. Von Kármán versuchte Kontakte zu knüpfen. Er initiierte beispielsweise eine Konferenz für Mechanik in Innsbruck, aus der der Internationale Mechanik-Kongress und später die Internationale Vereinigung für theoretische und angewandte Mechanik (IUTAM) entstand.8

Denunziation, Entlassung und Auswanderung

Im Jahr 1926 wurde er von Robert A. Millikan nach Pasadena, Kalifornien eingeladen, um Ingenieure des California Institute of Technology (Caltech) beim Bau eines Windtunnels zu beraten. Nachdem dieser Windtunnel in 1928 fertiggestellt wurde, blieb von Kármán und trat dem neu gegründeten Guggenheim Aeronautical Laboratory (GALCIT) am Caltech bei. Im Jahre 1929 wurde er Direktor des GALCIT. Die Abteilung gewann an Ruf, als zahlreiche Fluggesellschaften den Windtunnel nutzen, um Modelle zu testen. In den folgenden Jahren verbrachte er die Sommersemester in Aachen und die Wintersemester in Pasadena.9

Während diesen Jahren veränderte sich das politische und auch das hochschulpolitische Klima in Aachen zunehmend. Eines der wichtigsten hochschulpolitischen Ziele der Nationalsozialisten war die „politische Gleichschaltung und Arisierung des Lehrkörpers“10. Bis Mitte der dreißiger Jahre wurden in Deutschland mehr als 1600 Wissenschaftler vertrieben. An der RWTH waren die Studierenden maßgeblich an diesen Entwicklungen beteiligt.11

In Aachen leiteten nicht die nationalsozialistischen Studierenden die Denunziationen der Professoren und Assistenten an der Hochschule ein, sondern der AStA, welcher zu diesem Zeitpunkt noch vom Waffenring und den katholischen Verbindungen geführt wurde.12 Die Führung der Deutschen Studentenschaft rief am 6. April 1933 zu einer mehrwöchigen antisemitischen Aktion in einem Schreiben an alle Studentenschaften auf. Doch der Aachener AStA hatte bereits am 18. März ein Denunziationsschreiben13 an den Kultusminister Rust geschickt. Darin drohten sie die Zusammenarbeit mit dem Lehrkörper aufzugeben, sollten die im Schreiben genannten Personen nicht verschwinden.14 Motivation für dieses Schreiben waren  nicht nur ideologische Gründe, sondern auch die Konkurrenz zum NSDStB15. Der AStA wollte mit solchen radikalen Aktionen zeigen, dass auch sie in der Lage waren waren, die Studierenden für die neue Regierung zu mobilisieren.16

Auf das Denunziationsschreiben reagierte die Kreisgruppe Aachen des NS-Lehrerbundes und kritisierte dieses als zu „massvoll“, da die jüdischen Mitglieder des Lehrkörpers nicht erwähnt wurden.

Der AStA denunzierte daraufhin am 10. April die marxistischen und jüdischen Professoren, darunter auch von Kármán, in einem Ergänzungsschreiben17 an Rust. Dies erfolgte wieder auf Eigeninitiative des Aachener AStA, denn die Deutsche Studentenschaft forderte dies erst einige Tage später.18

Von Kármáns Reaktion

Am 4. April erreichte die Hochschule ein Telegramm von Kármán, welcher sich zu diesem Zeitpunkt gerade in Pasadena aufhielt. Darin erbat er seine Beurlaubung für das Sommersemester 1933, da seine Mutter noch nicht reisefähig sei.19 Seine Anfrage wurde vom preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bewilligt, mit der Bedingung, dass er im Wintersemester 1933/34 seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen und im Sommersemester 1934 fortsetzen würde.20

Im September 1933 erreicht ein weiterer Brief Kármáns den Rektor. Er erklärt darin, dass er auch im Wintersemester noch nicht in der Lage sei, seine Vorlesungen wieder aufzunehmen. Von Kármán erbittet eine Verlängerung seiner Beurlaubung, und für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, seine Entlassung aus dem deutschen Staatsdienst.21 Der Rektor der TH Aachen, Paul Röntgen, und die deutschen Behörden wussten nicht, dass von Kármán bereits am 23. Mai 1933 die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt hatte.22

Von Kármáns Fakultät, die Fakultät für allgemeine Wissenschaften, befürwortete von Kármáns Verbleib an der TH in einem Brief an den Rektor, und schlug vor, dass es sinnvoll wäre, die Einschätzung des Luftfahrtministeriums bezüglich von Kármáns Bedeutung für die deutsche Luftfahrt einzuholen.23Egon Krause, emeritierter Professor für Strömungslehre an der RWTH, (und Ulrich Kalkmann, u.a. Verfasser der Arbeit „Die Technische Hochschule Aachen im Dritten Reich“24) sehen hierin nicht nur eine außerordentliche Wertschätzung gegenüber von Kármán, sondern „auch ein[en] – wenngleich vorsichtige[n] – Protest gegen die nazionalsozialistische Hochschulpolitik“.25

Trotz des Hinweises auf von Kármáns Erfolg und Bedeutung im Bereich der Luftfahrt, den seine Fakultät in Aachen äußert, wird Kármán zum Sommersemester 1934 aus dem preußischen Staatsdienst entlassen.

Allerdings bot ihm – nach von Kármáns eigenen Angaben – der damalige Leiter der Luftfahrtforschung Adolf Baeumker im selben Jahr noch eine Stelle als Berater im deutschen Luftfahrtministerium an, welche von Kármán jedoch ablehnte. Dies zeigt auf, wie entscheidend die aufrüstungsbezogene Bedeutung eines Wissenschaftlers für den Umgang seitens der nationalsozialistischen Politik mit ihm war.26

Bedeutungsverlust der Aachener Luftfahrt

Der endgültige Fortgang von Kármáns war der Grund für einen erheblichen Bedeutungsverlust der Aachener Luftfahrt. Der Mathematiker Otto Blumenthal und der Mechaniker Ludwig Hopf, welche während von Kármáns Abwesenheit Teile der Lehre in der Flugwissenschaft übernommen hatten, wurden ebenfalls denunziert und entlassen. Die offenen Stellen wurden jahrelang nicht wirklich nachbesetzt. So verlor die Aachener Aerodynamik zunehmend an Bedeutung. Auch war Aachen aufgrund seiner geographischen Lage in Hinblick auf den Kriegsfall als Standort für die deutsche Luftfahrtforschung weniger geeignet als die anderen zur Debatte stehenden Standorte.27

Von Kármáns Schicksal im Kontext der Vertreibung

Erwähnenswert ist auch der unterschiedliche Umgang mit jüdischen und regimefeindlichen Professoren seitens der Ministerien. Von Kármán war für das Luftfahrtministerium besonders im Hinblick auf die Rüstungsforschung von großem Wert. Auch befand er sich im Gegensatz zu anderen Hochschullehrern in einer stärkeren Verhandlungsposition, da er bereits ein Standbein und Angebote in den USA hatte. Anders sah das bei einigen seiner Kollegen aus, denen solche Möglichkeiten nicht zur Verfügung standen.

Leben in den USA

In den folgenden Jahren widmete von Kármán sich ganz der Luftfahrtforschung in den USA. Er blieb Direktor der Guggenheim Aeronautical Laboratories (bis 1949), welche unter seiner Leitung zu einer der bedeutensten Lehr- & Forschungsinstitutionen der USA wurde.  Während dieser Zeit arbeitete er auch mit der Luftfahrtindustrie zusammen und war an der Gründung der Aerojet Engineering Corporation beteiligt. Von Kármán verbrachte viel Zeit in Washington, wo er beratend tätig war. Im Jahr 1944 erhielt er den Auftrag, ein Beratergremium für die US-amerikanische Luftwaffe zu gründen. Diese Berater prüften den Stand der US-Luftwaffe, gaben Empfehlungen und veranlassten viele Änderungen in der Luftwaffe.28

Aufgrund von Berichten über deutsche Wissenschaftler in 1944, die Raketen für militärische Zwecke entwickelten, bekam das Caltech den Auftrag, ebenfalls Raketen mit großer Reichweite zu produzieren. So entstand das Jet Propulsion Laboratory, dessen ersten Direktor von Kármán stellte.29 Dieses Labor beschäftigte sich in den 50er-Jahren immer mehr mit extraterreristischer Forschung und wurde 1959 von der NASA übernommen.30

Von Kármán sah kein Problem darin, dass seine Forschungsergebnisse für militärische Zwecke genutzt wurden. Er war der Meinung, dass Forschung und Militär zusammenarbeiten können und sah in der militärischen Förderung eine große Chance für die Forschung.31 Sicherlich muss man diese Aussagen im Kontext seiner Vertreibung aus Deutschland sehen, da er zum einen motiviert war, das amerikanische Militär im Zweiten Weltkrieg bestmöglich zu unterstützen, und zum anderen aufgrund umfangreicher Förderung und uneingeschränkt durch Verträge viele seiner Forschungsarbeiten in den USA realisieren konnte.

Er verfolgte auch weiterhin mit großem Interesse den internationalen wissenschaftlichen Austausch. Beispielsweise veranlasste er die Gründung der Advisory Group for Aeronautical Research and Development (AGARD), eine NATO-Organisation zur Koordination, zum Austausch und für Empfehlungen in der Luftfahrtforschung. Außerdem gründete er den International Council for the Aeronautical Sciences (ICAS) und die Internationale Astronautische Akademie.

Nachdem der Zweite Weltkrieg zu Ende war, kehrte von Kármán mit den alliierten Truppen wieder nach Deutschland zurück, und sorgte dafür, dass das ausgelagerte Aerodynamische Institut wieder nach Aachen zurückverlegt wurde. So sicherte er das Fortbestehen der Aerodynamik an der RWTH Aachen. Im Jahr 1956 übernahm er die Leitung des nach ihm benannten Von Kármán Instituts für Strömungsmechanik in Belgien. Von Kármán verstarb am 7. Mai 1963 mit 81 Jahren während eines Kuraufenthaltes in Aachen.

Aachen den 29.04.2022 (al)

 

 

 

 

 

Literatur:

Hochschularchiv der RWTH Aachen. Professoren/innen und Dozent/innen der RWTH (1870-1995). K. Kármán, Theodor von. Zugegriffen am 2.11.2021 unter https://www.archiv.rwth-aachen.de/lehrkoerper//index.htm .

Kalkmann, U. (2003). Die Technische Hochschule Aachen im dritten Reich (1933-1945). Aachen: Wissenschaftsverlag Mainz GmbH Aachen.

Klein, H.-D. (1981). Großer Wirbel um kleinen Mann. Aachen: Aachener Nachrichten Nr. 106.

Krause, E. und Kalkmann, U. (1995). Wissenschaft zwischen technischer und gesellschaftlicher Herausforderung: die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen 1970 – 1995. Theodore von Kármán. Aachen: Einhard.

Krause, E. (1996). Von Kárman zwischen Aachen und Pasadena. Abhandlungen aus dem Aerodynamischen Institut der Rhein.-Westf. Technischen Hochschule Aachen. Heft 32. Hochschularchiv Aachen, B 36.

Jet Propulsion Laboratory, California Institute of Technology, NASA. About JPL. Who We Are. Dr. Theodore von Kármán (1881-1963). Zugegriffen am 4.1.2022 unter  https://www.jpl.nasa.gov/who-we-are/faces-of-leadership-the-directors-of-jpl/dr-theodore-von-karman-1881-1963 .

Von Kármán, T. mit Edson, L. (1968). Die Wirbelstraße. Mein Leben für die Luftfahrt. Hamburg: Hoffmann und Campe.

Aus dem Hochschularchiv:

Briefe des AStA der TH Aachen an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 18.3.1933 und 10.4.1933. In: Hochschularchiv Aachen, 508.

Dekan der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften, Carl Wieselsberger, an Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 4.4.1933. In: Hochschularchiv Aachen, 447.

Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Rektor der TH Aachen, Paul Röntgen, vom 4.5.1933. In: Hochschularchiv Aachen, 447.

T. v. Kármán an Rektor der TH Aachen, Paul Röntgen, vom 12.9.1933. In: Hochschularchiv Aachen, 447.

Dekan der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften, Hermann Starke, an Rektor der TH Aachen, Paul Röntgen, vom 2.10.1933. In: Hochschularchiv Aachen, 447.

Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Prof. Dr. von Kármán vom 21.4.1934. In: Hochschularchiv Aachen, 447.

Verweise:

1 Kármán-Auditorium, Eilfschornstr. 15
2 Theodore-von-Kármán Wohnheim, Rütscher Str. 121
3 Kármánstraße, Aachen und Professor von Kármánstraat, Vaals
4 Krater “Von Kármán” auf dem Mond und auf dem Mars
5 Krause/Kalkmann, S. 268
6 Von Kármán, T. (1910). Untersuchungen über Knickfestigkeit. In: Verein deutscher Ingenieure (eds) Mitteilungen über Forschungsarbeiten auf dem Gebiete des Ingenieurwesens insbesondere aus den Laboratorien der technischen Hochschulen. Berlin/Heidelberg: Springer.
7 Krause/Kalkmann, S. 268
8 Krause/Kalkmann, S. 268
9 Ebd.
10 Kalkmann, S. 120
11 Kalkmann, S. 120
12 Kalkmann, S. 227
13 AStA der TH Aachen an Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 18.3.1933. HAAc, 508.
14 Ebd.
15 Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund
16 Kalkmann, S. 227
17 AStA der TH Aachen an Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 10.4.1933. HAAc, 508.
18 Kalkmann, S. 228f
19 Dekan der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften, Carl Wieselsberger, an Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 4.4.1933. HAAc, 447.
20 Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Rektor der RH Aachen, Paul Röntgen, vom 4.5.1933. HAAc, 447.
21 T. v. Kármán an Rektor der TH Aachen, Paul Röntgen, vom 12.9.1933. HAAc, 447.
22 T. v. Kármán, Declaration of Intention vom 23.5.1933. Archiv des US-Justizministeriums, Washington D.C., Nr 63088.
23 Dekan Sterke an den Rektor der TH Aachen vom 2.10.1933. HAAc, 447.
24 Kalkmann, o.S.
25 Krause/Kalkmann, S. 269
26 Kalkmann, S. 130
27 Kalkmann, S. 446ff
28 Krause/Kalkmann, S. 270f
29 Jet Propulsion Laboratory, California Institute of Technology, NASA. About JPL. Who We Are. Dr. Theodore von Kármán (1881-1963). Zugegriffen am 4.1.2022 unter https://www.jpl.nasa.gov/who-we-are/faces-of-leadership-the-directors-of-jpl/dr-theodore-von-karman-1881-1963
30 Krause/Kalkmann, S. 270
31 Klein, H.-D., o.S.
32 Krause/Kalkmann, S. 271
33 Krause, S. 6
34 Von Kármán Institute for Fluid Dynamics. About VKI. History. Zugegriffen am 4.1.2022 unter https://www.vki.ac.be/index.php/home-v16/about-vki#history